Was macht eigentlich ein Autor?
Stell Dir vor, Du liegst abends in Deinem Bett und es ist schon dunkel, aber Du kannst nicht einschlafen. Du bist müde und musst gähnen, aber Deine Augen wollen einfach nicht zufal-len. Was hilft da wohl am besten? Natürlich: Eine Geschichte aus einem Buch vorgelesen zu bekommen, bei der man gut träumen kann! Aber jemand muss sich diese Geschichte ja aus-gedacht und aufgeschrieben haben, bevor Mama oder Papa oder Oma oder Opa sie vorle-sen können. Und dieser Jemand ist ein Autor.
Das macht ein Autor: Er schreibt Geschichten auf. Manchmal ist die Geschichte wahr – dann muss er sehr genau herausfinden, wie sie wirklich passiert ist, damit er beim Aufschreiben keinen Fehler macht. Manchmal ist die Geschichte erfunden – dann muss er sie sich erst einmal ausdenken, bevor er sie aufschreiben kann.
Und wie denkt sich so ein Autor nun so eine Geschichte aus? Am besten, wir probieren das gleich mal gemeinsam aus – das ist nämlich gar nicht so schwer.
Also, zuerst brauchen wir eine Person oder ein Tier oder ein Wesen, das es vielleicht nur in unserer Fantasie gibt. Jedenfalls etwas Lebendiges, das sprechen und sich bewegen kann – wir könnten auch eine Pflanze nehmen und sie sprechen lassen! Ja: Das ist eine gute Idee. Wir denken uns jetzt zusammen eine Geschichte aus über eine kleine Blume, die mit ihren Wurzeln gehen kann.
Ein Name für unsere Blume wäre noch schön. Wie wäre es mit … Rosalie? Ich habe mich nämlich gerade mal auf meinem Schreibtisch umgeschaut und meinen rosafarbenen Bunt-stift wiedergefunden – den hatte ich den ganzen Vormittag schon gesucht – da ist mir der Name eingefallen.
Rosalie geht mit ihren Wurzeln durch die Welt und begegnet – huch, Pflanzen können in Wirklichkeit gar nicht mit ihren Wurzeln gehen? Das ist nicht schlimm – als Autor kann man sich alles ausdenken und aufschreiben, was man sich nur vorstellen kann.
Rosalie geht also durch die Welt und begegnet einem Frosch. Der ist ihr bester Freund.
»Rosalie!«, begrüßt er sie quakend. »Ich muss dir dringend etwas erzählen!«
Hm … was könnte der Frosch unserer Blume erzählen? Vielleicht eine tolle Neuigkeit aus dem Wald? Vielleicht, dass jemand heute Geburtstag feiert? Das ist doch eine gute Idee.
»Mein Neffe Quak feiert heute Geburtstag und es sollte einen guten Schokoladenkuchen ge-ben!«
Ein »guter Schokoladenkuchen« – das hört sich noch nicht so toll an. Unser Frosch meint wohl eher einen »köstlichen Schokoladenkuchen«! Also lassen wir ihn das noch mal zu Rosa-lie sagen.
»Rosalie!«, begrüßt er sie quakend. »Ich muss dir dringend etwas erzählen! Mein Neffe Quak feiert heute Geburtstag und es sollte einen köstlichen Schokoladenkuchen geben! Nur leider hat der Bär, dieses Schleckermaul, den ganzen Kuchen schon gefressen!«
Oh weh. Nun haben wir uns in der Geschichte ein ziemliches Problem ausgedacht und müs-sen überlegen, wie Rosalie ihrem Freund aus der Patsche helfen könnte.
Die meiste Zeit verbringt ein Autor damit, sich die Geschichte auszudenken, und zwar stän-dig: ohne, dass es irgendjemand sonst bemerkt! Er läuft herum und kauft sich ein Eis, be-sucht Oma und Opa, räumt sein Zimmer auf, schaut sich einen Film an und denkt dabei die ganze Zeit an die Geschichte, die aufgeschrieben werden will. Er denkt an die Personen, die in der Geschichte vorkommen, an die Tiere und die Orte.
Wenn er beim Spazierengehen eine schöne Blume sieht, denkt er: So eine muss in der Ge-schichte auch vorkommen! Und beim Anblick eines rosafarbenen Buntstifts fällt ihm auch der Name dieser Blume ein: Rosalie! Und wenn er hört, dass Papa zu Mama sagt: »Ich hab dich sehr lieb!«, denkt er: Oh – unser Frosch muss das auch zu Rosalie sagen, wenn sie ihm geholfen hat!
Aber wie könnte Rosalie unserem Frosch nun helfen? Sie könnte einen neuen köstlichen Schokoladenkuchen backen für Quak oder einen anderen Kuchen – einen mit Erdbeeren oder Streuseln – und den Bären vergessen.
Oder sie könnte sich, weil sie eine mutige, furchtlose Blume ist, in die Höhle des Bären wa-gen, wo es dunkel ist und gruselig. Die anderen Tiere – auch ihr bester Freund, der Frosch – würden ihr davon abraten und sagen: »Rosalie, ich kann dich nicht begleiten. Ich habe zu viel Angst.« Doch Rosalie würde trotzdem hineingehen.
Vielleicht schnarcht der Bär gerade in seiner Höhle und Rosalie sieht, dass er den köstlichen Schokoladenkuchen gar nicht gefressen, sondern nur gestohlen hat. Sie würde ihre zarten Pflanzenärmchen um den Kuchen schlingen und sich auf ihren Wurzeln hinausschleichen.
Oder stell Dir nur vor, der Bär würde dabei aufwachen! Rosalie hätte furchtbare Angst, und der Bär würde sie mit tiefer Stimme fragen: »Was machst du hier in meiner Höhle, kleine Blume?«
»Ich möchte den köstlichen Schokoladenkuchen zurückholen!«, würde Rosalie ihm tapfer antworten. »Das ist nämlich ein Geburtstagskuchen!«
Was würde der Bär wohl darauf erwidern? Was meinst Du? Jetzt haben wir uns schon ziem-lich viel zusammen ausgedacht – und eigentlich war es ganz leicht, oder?
Das Aufschreiben der Geschichte geht meistens viel schneller als das Ausdenken und ist auch nicht schwer. Manchmal muss ein Autor sehr lange an einem einzigen Wort überlegen, bis er genau das gefunden hat, was am besten passt. Für das Wort »köstlich« mussten wir zum Beispiel ein bisschen überlegen. Wir hätten auch »gut«, »lecker« oder »wohlschmeckend« aufschreiben können – aber »köstlich« klingt schon so gut, lecker und wohlschmeckend, dass ich am liebsten gleich ein Stück von dem köstlichen Schokoladenkuchen essen würde, so köstlich klingt er.
Wenn die Geschichte aufgeschrieben ist, wird aus ihr vielleicht ein Buch oder ein Film oder ein Theaterstück oder ein Hörspiel. Und wenn derjenige, der abends im Bett liegt und nicht einschlafen kann, mit der Geschichte zu träumen beginnt, dann freut sich der Autor sehr! Das ist nämlich das Schönste für einen Autor: Wenn die Geschichte, die er sich ausgedacht hat, Mut macht oder zum Lachen bringt oder beim Einschlafen hilft oder träumen lässt.